Die strategische Neuausrichtung von SAP im Bereich der ABAP-Add-ons sorgt für Aufsehen – und nicht nur bei den SAP-Partnern. Die Einführung der Clean-Core-Strategie und die Abkündigung der klassischen Zertifizierung haben weitreichende Konsequenzen für das gesamte SAP-Ökosystem. In diesem Beitrag beleuchten wir die Hintergründe, die Auswirkungen und die offenen Fragen, die sich aus diesen Veränderungen ergeben.
Hintergrund: Von klassischen Add-ons zu Clean Core
Traditionell wurden ABAP-Add-ons direkt in das SAP ERP ECC integriert. Diese On-Stack-Erweiterungen ermöglichten zwar schnelle Anpassungen, führten aber bei Updates häufig zu Inkompatibilitäten. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, hat SAP die Clean-Core-Strategie ins Leben gerufen – ein Ansatz, der den Kern des Systems von Erweiterungen strikt trennen soll. Ziel ist es, über klar definierte Schnittstellen (APIs) eine reibungslose Integration zu gewährleisten und damit auch den Wechsel zur Cloud-basierten S/4HANA-Umgebung zu erleichtern.
Die Neuausrichtung der Zertifizierung
Im November 2023 wurde von SAP überraschend bekannt gegeben, dass es künftig keine neuen Zertifizierungen für klassische ABAP-Add-ons mehr geben wird. Bereits zertifizierte Lösungen können nur noch einmalig bis zum dritten Quartal 2025 rezertifiziert werden. Diese Maßnahme trifft viele Partner, die jahrelange Entwicklungsarbeit in ihre Produkte investiert haben, nahezu wie ein Schlag ins Kontor.
Parallel dazu wurde im März 2024 die neue „Clean-Core-Zertifizierung“ eingeführt. Diese fordert, dass Add-ons ausschließlich über vorgegebene APIs angebunden werden – ein Konzept, das insbesondere für die Cloud-Umgebung konzipiert ist. Der Übergang zur ABAP Cloud bringt jedoch für viele Entwickler den notwendigen Mehraufwand mit sich: Eine Neuimplementierung der bestehenden Add-ons ist in den meisten Fällen unumgänglich, da eine automatische Migration nicht möglich ist.
Auswirkungen für Partner und Kunden
Herausforderungen für SAP-Partner
- Ressourcenaufwand: Die komplette Neuimplementierung bestehender Lösungen erfordert erhebliche Zeit- und Finanzressourcen.
- Technische Hürden: Da die neuen APIs noch nicht in ausreichender Anzahl verfügbar sind, entsteht Unsicherheit hinsichtlich der technischen Machbarkeit.
- Geschäftsmodell im Wandel: Produkte, die bislang als zertifiziert galten, verlieren ihren Status und damit auch ihren Wettbewerbsvorteil.
Folgen für die Endanwender
- Unklare Zukunft: Kunden, die auf zertifizierte Lösungen vertrauen, stehen vor der Frage, wie sie bereits implementierte Add-ons langfristig betreiben können – besonders vor dem Hintergrund der Wartungszusage von SAP S/4HANA bis 2040.
- Investitionsrisiko: Die Umstellung auf neue, zertifizierte Lösungen erfordert zusätzliches Investment, was die Planungssicherheit beeinträchtigen kann.
Diese Entwicklungen führen zu einer angespannten Situation, in der sowohl Partner als auch Endanwender vor erheblichen Umstellungs- und Investitionsfragen stehen.
Kritik an der Kommunikationsstrategie von SAP
Ein zentraler Kritikpunkt, der immer wieder zur Sprache kommt, betrifft die Kommunikation seitens SAP. Die kurzfristige Bekanntgabe der Änderungen sowie der unzureichende Informationsfluss zu den neuen Zertifizierungsbedingungen haben bei vielen Partnern und Kunden zu großer Unsicherheit geführt. Es wird deutlich, dass eine klare und transparente Kommunikation, inklusive einer verbindlichen Timeline und detaillierter Dokumentation der neuen Anforderungen, dringend notwendig ist.
Ausblick: Chancen in der Cloud-Transformation
Trotz der Herausforderungen bieten die neuen Entwicklungen auch Chancen. Die strikte Trennung von Kernsystem und Erweiterungen kann langfristig zu stabileren und flexibleren Systemen führen – insbesondere im Hinblick auf die Cloud-Transformation. SAP-Partner, die frühzeitig in den Aufbau von Know-how und die Implementierung der neuen Standards investieren, können sich als Vorreiter in einem zukunftsweisenden Markt positionieren.
Fazit
Die Umstellung auf die Clean-Core-Strategie und die damit einhergehenden Änderungen bei der Zertifizierung klassischer ABAP-Add-ons stellen einen radikalen Paradigmenwechsel dar. Während SAP damit seine Vision einer vollständig cloudbasierten Zukunft konsequent verfolgt, stehen Partner und Kunden vor enormen Herausforderungen. Es bleibt zu hoffen, dass SAP in den kommenden Monaten die offenen Fragen klärt und die nötige Unterstützung bietet, um den Übergang so reibungslos wie möglich zu gestalten.
Die kommenden Monate werden zeigen, wie gut sich das gesamte Ökosystem anpassen kann – und ob sich die Investitionen in die Neuimplementierung letztlich auszahlen werden. Für alle, die in diesem Spannungsfeld agieren, ist es jetzt wichtiger denn je, informiert zu bleiben und aktiv den Dialog mit SAP und anderen Partnern zu suchen.